OLGK - 11 U 88/96 vom 1997-01-08
In der Entscheidung des OLG Köln vom 8. Januar 1997 ging es um die Klage von Käufern einer Eigentumswohnung, die Schadensersatz und Rückabwicklung des Kaufvertrags forderten, da sie sich durch unzureichende Informationen und Beratungen getäuscht fühlten. Das Gericht bestätigte die Entscheidung des Landgerichts, das den Beklagten zur Zahlung verurteilt hatte, da die Beratungspflichten nicht ausreichend erfüllt wurden und die Käufer nicht über die finanziellen Risiken und Belastungen aufgeklärt wurden. Die rechtliche Bedeutung dieser Entscheidung liegt in der Bestätigung der erhöhten Beratungspflicht von Anlagevermittlern, insbesondere gegenüber unerfahrenen Käufern, und der Möglichkeit, Schadensersatzansprüche bei Verletzung dieser Pflichten geltend zu machen.
Diese Zusammenfassung dient ausschließlich der ersten Orientierung und stellt keine Rechtsberatung dar.
Kernpunkte der Entscheidung
- 1"Die Kläger fordern Schadensersatz und Rückabwicklung eines notariellen Kaufvertrags über eine Eigentumswohnung aufgrund unzureichender Beratung und Informationen.
- 2"Der Beklagte wurde durch die Wirtschaftsberatung H. vertreten, die die Kläger gezielt als Käufer ansprach, obwohl diese über wenig Erfahrung im Immobilienbereich verfügten.
- 3"Das Gericht stellte fest, dass die Beratungspflicht verletzt wurde, da keine auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kläger bezogene Rentabilitätsberechnung erstellt wurde.
Rechtliche Bedeutung
Die Entscheidung des OLGK bezieht sich auf die Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten durch einen Anlagevermittler im Rahmen eines Immobilienkaufs, was zu einem Schadensersatzanspruch der Kläger führt. Der Rechtsgrundsatz, dass der Anlagevermittler gemäß § 278 BGB verpflichtet ist, über alle wesentlichen Umstände der Investition wahrheitsgemäß und vollständig zu informieren, wurde hier angewendet. Diese Entscheidung ist insbesondere relevant für Fälle, in denen unerfahrene Käufer von risikobehafteten Kapitalanlagen betroffen sind, und hat praktische Auswirkungen, indem sie die Anforderungen an die Beratungspflichten von Vermittlern in solchen Transaktionen konkretisiert und die Rückabwicklung von Verträgen bei Pflichtverletzungen erleichtert.
Hinweis: Diese rechtliche Einschätzung dient nur zu Informationszwecken. Sie ersetzt keine professionelle Rechtsberatung. Für konkrete rechtliche Fragen wenden Sie sich bitte an einen qualifizierten Rechtsanwalt. Die Interpretation von Gerichtsentscheidungen kann je nach Einzelfall variieren.
Tenor
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Tatbestand
- Die Kläger machen mit der Klage Schadensersatz und Rückabwicklung eines mit dem Beklagten am 28. Januar 1993 geschlossenen notariellen Vertrages über den Erwerb einer Eigentumswohnung geltend.
- Bei Abschluss dieses notariellen Kaufvertrages ließ sich der Beklagte durch den Zeugen A. H. vertreten, dem er unter anderem die Veräußerung und Vermarktung der Wohnung übertragen hatte. Der Zeuge betrieb eine Wirtschaftsberatung, die unter Mitwirkung der Zeugin S. die Kläger als Kaufinteressenten gewann.
- Der Zeuge H. hatte für das Objekt ein Verkaufsprospekt entwickelt, das eine Beispielsrechnung über den finanziellen Aufwand in der Erwerbsphase und der Mietphase für die Wohnung bei vollständiger Fremdfinanzierung zum Gegenstand hatte. Diese Beispielsrechnung legte eine Steuerbelastung von 40 % zugrunde. Für die Erwerbsphase kam sie danach zu einem Überschuss von 9.605,00 DM. Für die Mietphase wurde eine "Liquiditätsunterdeckung" nach Steuern und vor Tilgung in Höhe von 1.493,00 DM pro Jahr errechnet. Bei ihren Beratungsgesprächen mit den Klägern hielt sich die Zeugin S. an die aus dem Prospekt ersichtlichen Angaben.
- Die Wirtschaftsberatung H. wandte sich wegen des Erwerbs von Eigentumswohnungen gezielt auch an Bevölkerungskreise mit geringem oder mittlerem Einkommen (u. a. 11 U 88/96, 11 U 89/96 und 11 U 104/96).
- Insbesondere wurden in den neuen Bundesländern gezielt Käufer gesucht, wie dem Senat aus mehreren Parallelverfahren bekannt ist.
- Der Beklagte hatte das hier streitige Objekt zu einem Kaufpreis von 600,00 DM pro Quadratmeter erworben und 1992 vertreten durch den Zeugen H. in Eigentumswohnungen aufteilen lassen. Der mit den Klägern vereinbarte Kaufpreis für die 62,66 qm große Wohnung lag bei 143.366,00 DM.
- In den genannten Parallelverfahren hat der Vermarktungsaufwand der Wirtschaftsberatung H. bei 30 % des Gesamtkaufpreises gelegen.
- Unmittelbar vor dem Termin zur notariellen Beurkundung des Kaufvertrages am 28. Januar 1993 hat der Zeuge H. den Klägern ein "Merkblatt" übergeben, dessen Kenntnisnahme diese quittierten. In dem "Merkblatt" wurde u. a. darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Objekt um eine "langfristige Anlage" handele. Auch die Möglichkeit der Zinserhöhung nach Ablauf der Zinsbindungsfrist und die Notwendigkeit einer Instandhaltungsrücklage wird darin angesprochen. Schließlich wurde in dem "Merkblatt" eine "persönliche Unterdeckung" für die Kläger vor Steuern und ohne Tilgung von ca. 272,00 DM monatlich errechnet.
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Vorbringen der Kläger
- Die Kläger haben die Auffassung vertreten, das Verkaufsprospekt sei in mehrerlei Hinsicht unzureichend. Es werde nicht erläutert, dass die darin aufgeführten Werbungskosten zunächst finanziert werden müssten. Fehlerhaft sei auch, dass für die Vermietungsphase bei der Berechnung der Belastung der Nominalzins zugrundegelegt worden sei. Ein Hinweis auf das Zinsrisiko nach Ablauf der Zinsbindungsfrist oder eine Berechnung der dann anfallenden Kosten fehle.
- Der Kläger habe für die unzureichenden Angaben in dem Prospekt des Zeugen H. sowie die unzureichende Beratung durch die vom Zeugen H. eingesetzte Vermittlerin, die Zeugin S., einzustehen.
- Die Kläger haben darüber hinaus ausgeführt, der Prospekt sei insbesondere deshalb unzureichend gewesen, weil er keine Auskunft darüber gegeben habe, welche finanziellen Belastungen genau auf sie zukommen würden. Zu einer derartigen auf die konkrete Einkommens- und Vermögenssituation bezogenen Beratung sei der Zeuge H. und die für ihn tätige Zeugin S. verpflichtet gewesen.
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Anträge der Kläger
- Die Kläger beantragen,
- den Beklagten zu verurteilen,
- an die Kläger zu Händen eines von den Klägern zu beauftragenden Notars 165.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30.12.1995 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abgabe folgender notarieller Erklärung der Kläger vor dem beauftragten Notar:
"Wir sind eingetragene Eigentümer der im Objekt E in Eschweiler gelegenen, im Grundbuch des Amtsgerichts Eschweiler von Eschweiler, Blatt X verzeichneten Eigentumswohnung Nr. 1.
Wir verpflichten uns hiermit das vorbezeichnete Wohnungseigentum auf Herrn M. R. zu übertragen, frei von der in Abteilung III des Wohnungsgrundbuch eingetragenen Grundschuld der Commerzbank, Filiale Aachen in Höhe von 165.000,00 DM. Wir erteilen hiermit dem Herrn M. R. die Vollmacht, in unserem Namen und unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB die Auflassung zu erklären.
Wir erklären unser Einverständnis mit einer Weisung des Herrn R. an den unterzeichneten Notar, den eingehenden Zahlungsbetrag zur Ablösung der in Abteilung III des Grundbuchs eingetragenen Grundschuld der Commerzbank, Filiale A., zu verwenden.
Wir bewilligen die Eintragung des Herrn M. R. als Eigentümer unter der aufschiebenden Bedingung, dass Zahlungseingang in Höhe des durch die Klage geforderten Betrags auf dem Konto des unterzeichneten Notars erfolgt. Der nach Ablösung der Grundschuld überschießende Geldbetrag ist an uns zu zahlen."
- Die Kläger beantragen,
-
Vorbringen des Beklagten
- Der Beklagte hat beantragt,
- die Klage abzuweisen.
- Er hat die Auffassung vertreten, der Prospekt sei in jeder Hinsicht einwandfrei. Die Beratung der Kläger entsprechend dem Prospekt habe genügt. Er hat im Übrigen die Einrede der Verjährung erhoben.
- Der Beklagte hat beantragt,
-
Urteil des Landgerichts
- Durch Urteil vom 14. März 1996 hat das Landgericht Aachen den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Es hat einen Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss bejaht. Die Beratungspflichtverletzung des Zeugen H. hat es u.a. darin gesehen, dass eine auf die Einkommens- und Vermögenssituation der Kläger bezogene Rentabilitätsberechnung verabsäumt worden ist. Für diese unvollständige Aufklärung habe der Beklagte gemäß § 278 BGB einzustehen.
- Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angegriffene Urteil (Bl. 193 bis 203 d. A.) Bezug genommen.
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Berufung des Beklagten
- Gegen dieses ihm am 17. April 1996 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 13. Mai 1996 Berufung eingelegt. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch Verfügung des Vorsitzenden bis zum 13. Juli 1996 hat er das Rechtsmittel mit am 9. Juli 1996 eingegangenen Schriftsatz begründet.
- Der Beklagte vertritt die Auffassung, weder nach dem Prospekt noch in den mündlichen Erörterungen mit der Zeugin S. seien den Klägern unzutreffende Zusicherungen über die Beschaffenheit der Eigentumswohnung gemacht worden. Dies träfe auch auf deren Wert zu, der nicht Gegenstand des Prospekts oder der Vorgespräche gewesen sei.
- Das Landgericht habe die inhaltlichen Anforderungen an den Verkaufsprospekt überspannt. Eine konkrete Rentabilitätsberechnung sei nicht gefordert gewesen. Die im Prospekt enthaltene Beispielsrechnung beruhe zum Teil auf ungünstigeren Annahmen, als die von den Klägern gewählte Finanzierung. Im Übrigen habe das im Notartermin überreichte Merkblatt, in dem eine monatliche Belastung der Kläger von ca. 272,00 DM ausgewiesen sei, hinreichende Angaben enthalten.
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Anträge des Beklagten
- Der Beklagte beantragt,
- das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
- Die Kläger beantragen,
- die Berufung zurückzuweisen.
- Sie verteidigen das landgerichtliche Urteil und behaupten, der Beklagte habe die Eigentumswohnung billig eingekauft und überteuert an die Kläger weiter veräußert. Hierbei habe man sich die Unerfahrenheit der gezielt in den neuen Bundesländern angesprochenen Erwerber zunutze gemacht.
- Der Beklagte beantragt,
-
Entscheidungsgründe
- Die in förmlicher Hinsicht unbedenkliche Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
- Das Landgericht hat den Beklagten zu Recht zur Zahlung Zug um Zug gegen "Rückauflassung" verurteilt. Den Klägern steht gegen den Beklagten ein Schadensersatzanspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages aus Verschulden bei Vertragsschluss in Verbindung mit § 278 BGB zu.
- Nach ständiger Rechtsprechung (BGH NJW 1982, 1095; NJW 1983, 1730 (1731)) trifft den Anlagevermittler gegenüber dem Erwerber die Pflicht, über alle Umstände, die für die Investition erkennbar von wesentlicher Bedeutung sind, wahrheitsgemäß, sorgfältig und vollständig Auskunft zu erteilen. Der Umfang der Beratungs- und Auskunftspflicht hängt dabei entscheidend von den auf Seiten des Geschäftsgegners vorauszusetzenden Kenntnissen und den mit dem Geschäft verbundenen Risiken ab.
- Die im vorliegenden Fall bestehenden Verpflichtungen zur eingehenden Beratung der Kläger sind von der H. Vermögensberatung und der Zeugin S. nach dem unstreitigen Parteivorbringen nicht hinreichend nachgekommen. Das unmittelbar vor dem Notartermin übergebene "Merkblatt" ändert daran nichts.
1. Beratungspflichtverletzung
- Wer gezielt Unerfahrene für risikoreiche Immobilienanlagen mit erheblich finanzieller Tragweite wirbt, ist in einem gesteigerten Maße zur Beratung und Aufklärung verpflichtet. Dies gilt insbesondere für den Zeugen H. und seine Zuarbeiter, die gerade unter der Firmenbezeichnung "Wirtschaftsberatung" ihre Geschäfte betrieben.
- Wie das Landgericht zu Recht entschieden hat, wurde die Beratungspflicht jedenfalls dadurch verletzt, dass eine auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kläger bezogene Rentabilitätsberechnung nicht erstellt wurde.
- Für die Kläger war das Ziel des Geschäfts nämlich erkennbar eine steuerlich begünstigte Kapitalanlage, die nur eine ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen angemessene, geringe monatliche Belastung mit sich bringen durfte.
2. Unzureichende Informationen
- Daneben wird in dem Prospekt nicht mit der gebotenen Deutlichkeit auf weitere Risiken des Geschäfts hingewiesen.
- Zu Recht hat das Landgericht es im vorliegenden Fall als Beratungsfehler angesehen, dass trotz der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger kein Hinweis auf die nach Ablauf der fünfjährigen Zinsbindung mögliche höhere Zinsbelastung erfolgte.
- Darüber hinaus ist die Beispielsberechnung auch deshalb unvollständig und für die Immobilienfragen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unerfahrenen Kläger irreführend, weil jeder Hinweis auf die Notwendigkeit einer Instandhaltungsrücklage für anfallende Reparaturen der über 20 Jahre alten Immobilie fehlt.
3. Wirkung des Merkblatts
- Die Mängel der Beratung werden nicht dadurch ausgeglichen, dass der Zeuge H. unmittelbar vor dem Notartermin den Klägern ein "Merkblatt zur Beratung beim Erwerb einer Kapitalanlage" übergab und sich die Kenntnisnahme quittieren ließ.
- Zwar sind in diesem formularmäßigen Merkblatt Hinweise zum Risiko der Zinsentwicklung nach Ablauf der Zinsbindung und zur Notwendigkeit einer Instandhaltungsrücklage enthalten.
- Da das Formular indessen überwiegend Angaben enthält, die auf die Kläger nicht zutreffen, entfaltet es nicht die nötige, der wirtschaftlichen Bedeutung und Risikolage des Geschäfts angemessene Warnfunktion.
4. Zurechnung der Beratungspflichtverletzung
- Die Beratungspflichtverletzung des Zeugen H. und der für ihn handelnden Zeugin S. sind dem Beklagten zurechenbar.
- Der Beklagte hat die "Wirtschaftsberatung" H. mit der Vermarktung seiner Immobilie beauftragt.
- Die Zurechnung des Verhaltens von Erfüllungsgehilfen wird nicht dadurch berührt, dass sich die "Wirtschaftsberatung" H. weiterer Hilfspersonen bei der Vermarktung bediente.
5. Schadensersatzanspruch
- Nach der ständigen Rechtsprechung ist bei der Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten nach dem ersten Anschein davon auszugehen, dass bei ordnungsgemäßer Aufklärung der Vertrag nicht geschlossen worden wäre.
- Der Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss ist gemäß § 249 BGB darauf gerichtet, den Zustand wieder herzustellen, der ohne die Pflichtverletzung bestanden hätte.
- Eine Zahlungsverpflichtung Zug-um-Zug gegen Rückauflassung besteht demnach in Höhe des vereinbarten Kaufpreises.
6. Zinsen und Nebenentscheidungen
- Der Anspruch auf zuerkannten Zinsen ergibt sich unter dem Gesichtspunkt des Verzuges aus § 291 BGB.
- Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
- Streitwert für das Berufungsverfahren und Beschwer für den Beklagten: 165.000,00 DM.
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